„Unter uns“ | Zur Jubiläumswoche: Interview mit Erfolgsproduzenten Guido Reinhardt

„Unter uns“ feiert das 30-jährige Jubiläum. Im Vorfeld trafen wir Guido Reinhardt zum Gespräch, der die Serie seit Jahren produziert.

1994 lief „Unter Uns“ das erste Mal über die deutschen Fernsehbildschirme. 30 Jahre später sind viele Figuren in der Schillerallee ein und aus gegangen. Einer, der aber über Jahre die Stellung hält, ist Guido Reinhardt – zumindest hinter den Kulissen. Als Produzent sorgt er nämlich dafür, dass die Soap immer noch relevant ist. Im Interview mit TVMovie Online sprach er über die Herausforderungen der aktuellen Zeit, wie man versucht, ein so lang lebendes Format frisch zu halten und die Unterschiede zu anderen Soaps.

TVM: Herr Reinhardt, wie sieht ein durchschnittlicher Arbeitstag eines Serien-Produzenten eigentlich so aus?

Wie ein durchschnittlicher Arbeitstag aussieht, ist davon abhängig, welche Projekte anstehen. Aktuell betreue ich zwei Serien, habe aber auch schon parallel beispielsweise Filme produziert. Die Anforderungen wechseln hier natürlich je nach Produktionsform. Wenn ich einen Film oder eine Serie vorbereite und produziere, ist das etwas anderes als eine Daily-Produktion.

Eine Serie wie „Unter uns“ befindet sich in seinem Jahreszyklus immer in einem unterschiedlichen Stadium. Wir entwickeln dreimal im Jahr Geschichten für einen größeren Zeitraum, circa vier bis fünf Monate. Da kommt dann das ganze Autoren- und Producer-Team zusammen und wir überlegen uns, was wir mit unseren Figuren erzählen wollen. Das dauert ein bis zwei Wochen, in denen intensiv an der Story gearbeitet wird.

Das ist ein fortlaufender Prozess, wir starten ja nicht bei Null. Wir schauen uns zunächst sehr genau an, wo wir mit den Figuren stehen, was sie erlebt haben und wo wir anknüpfen müssen. Was sind die Herausforderungen und die dramaturgischen Fallhöhen? Das ist der inhaltliche Start. Währenddessen läuft der gesamte Produktionsprozess parallel weiter. Das sind aber inzwischen gelernte Abläufe, da unterscheiden wir uns kaum mehr von einer klassischen Serie, außer eben darin, dass die Abstände deutlich enger getaktet sind.

30 Jahre sind eine irrsinnig lange Zeit für eine Serie, in der sich vermutlich viel getan hat. Woran macht sich der Wandel erkennbar?

„Unter uns“ hat sich in 30 Jahren ständig weiterentwickelt. Die Serie sieht heute anders aus, fühlt sich anders an. Die Gesellschaft und somit die Zuschauer:innen haben sich schließlich auch verändert. Das sind die Parameter, die uns beeinflussen und bei denen wir auf der Höhe der Zeit sein wollen. Was gibt es also Neues zu entdecken? Wie gewinnen wir das Kostbarste, was die Zuschauer:innen haben, nämlich ihre Zeit?

Wollen sie zu einer bestimmten Uhrzeit, nämlich um 17.30 Uhr ihre Frei(e)- Zeit mit „Unter uns“ verbringen?! Das ist die Herausforderung!

So etwas wie die Transgender-Geschichte mit Eva (Claudelle Deckert) und Dominic (Jo Weil) war vermutlich damals nicht denkbar gewesen.

Hier haben wir uns gesagt: „Das trauen wir uns jetzt einfach!“ Eva war, wie sie die ganzen Jahre über erzählt wurde, eine sehr dominante und selbstbewusste Frau. Wir wollten dann gerade bei so einer Figur die etwas andere Liebesgeschichte erzählen. Eine Geschichte, die diese Figur herausfordert; bei der sich bei aufflammenden Gefühlen herausstellt, dass es nicht so ist, wie es scheint. Trotzdem ist es Liebe, und wie gehen unsere Heldin und der Held also damit um? Das war die Keimzelle für diese Geschichte und erfreulicherweise kam die Geschichte sehr gut an.

Mein Credo ist: Wenn wir erzählerisch polarisieren können, sollten wir es tun. Wir brauchen den Diskurs, damit sich unser Publikum mit Themen auseinandersetzt, sich aber auch gleichzeitig unterhalten fühlt.

Diese Art der LGTQ+-Themen werden bei „Unter uns“ ja durchaus häufiger mal aufgegriffen, zum Beispiel am prominentesten mit Easy und Ringo.

Wenn wir uns “Unter uns“ rein sachlich anschauen, dann wirkt die Serie auf den ersten Blick wie das alltägliche Leben, das wir alle kennen. Als wir mit Lars Steinhöfel zusammen über die Figur Easy Winter nachgedacht haben, der als heterosexueller Mann mit vielen Frauen Beziehungen hatte, haben wir überlegt, warum diese Beziehungen alle letztendlich gescheitert sind. Da gab es für eine tägliche Serie eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist die Figur auserzählt und verlässt das Universum oder wir haben noch eine stimmige Idee, die zu der Figur passt. So entstand dann die Idee, dass die Figur Easy plötzlich feststellt, dass sie eine andere sexuelle Orientierung hat. Am Anfang gab es viel Gegenwehr von unserem Publikum. Als es dann aber als echte Liebesgeschichte wahrgenommen wurde, spielte es plötzlich keine Rolle mehr, ob der Partner ein Mann oder eine Frau ist. Das beliebteste Liebespaar der Serie war geboren: Easy und Ringo!

Wie versucht man nach all der Zeit, eine Serie wie „Unter uns“ frisch zu halten, wie geht man Innovationen an? Oder kann es die nach 30 Jahren nicht mehr geben?

Es gibt zum einen erzählerische Innovationen. Was für Geschichten, haben wir noch nicht – oder müssen wir in einem anderen Kontext erzählen? Da sich die Gesellschaft entwickelt, müssen wir inhaltlich natürlich mit den Wünschen, Ängsten und Träumen mithalten. Tabuthemen vor 20 Jahren sind nicht mehr dieselben wie heute. Vordergründig gibt es eigentlich keine Tabus mehr bei zwischenmenschlichen Beziehungen. Dahinter verbirgt sich aber häufig eine neue Form von Konservativismus.

Hinter den Kulissen gibt es vor allem technische Innovationen. Die sorgen auch dafür, dass wir gewohnte Abläufe hinterfragen und anpassen. Unser Antrieb ist auch hier die Bereitschaft zur ständigen Veränderung, das ist Teil unserer DNA. Jetzt, zum 30-jährigen Geburtstag, haben wir uns eine sehr umfassende Geschichte ausgedacht, die inhaltlich die letzten 30 Jahre und darüber hinaus zusammenfasst. Nach dem 30-jährigen Jubiläum ist es dann wieder vor den nächsten Geschichten, was bedeutet, dass wir weiter daran arbeiten uns jeden Tag neu zu erfinden.

Wie spielt hier die Fluktuation der Figuren mit rein? Gerade in den letzten Jahren gab es ein großes Kommen und Gehen in der Schillerallee.

Nach 30 Jahren sind viele unserer Figuren schon seit langer Zeit dabei. Ute Kiefer, gespielt von Isabell Hertel, ist heute durch die Heirat mit einem Weigel Sohn ebenfalls eine Weigel und fast seit Anfang an dabei. Familienkonstellationen wachsen und verändern sich, so wie Familien sich im wahren Leben auch verändern. Kinder werden erwachsen und bekommen selbst Kinder, ergreifen einen Beruf, ziehen um oder wandern aus. So entsteht eine sehr natürliche Fluktuation wie es jeder auch von seiner eigenen Familie, seinen alten und neuen Freund:innen und seiner Nachbarschaft kennt. Daher auch unser Markenkern: Familie, Freundschaft, Nachbarschaft.

Sie sind neben „Unter uns“ auch für „Alles was zählt“ zuständig. Wie unterscheiden sich die beiden Produktionen voneinander?

Die Produktionsweise ist in etwa gleich, aber der emotionale Markenkern ist sehr unterschiedlich. Bei „Unter uns“ geht es um die erwähnte Familie, die Freundschaft und Nachbarschaft. Bei „Alles was zählt“ ist es durch den Sport-Fokus mehr „Glaube an dich, glaube an deinen Traum und sei bereit, dafür zu kämpfen“. Das unterscheidet sich schon sehr grundsätzlich in den Geschichten und den Biografien der Figuren. Wenn man dann noch diese Figuren, Geschichten und Emotionen visuell umsetzen will, entstehen ganz andere Bilder. Bei „Alles was zählt“ denkt man ans Eislaufen, Blut, Schweiß und Tränen und wenn man hinfällt, tut es weh, denn das Eis ist hart. Bei „Unter uns“ denkt man viel mehr an den Umgang in der Nachbarschaft, wer stört das familiäre und freundschaftliche Gefüge? Diese Geschichten sind spezifisch für jede der beiden täglichen Serien.