Ben ist seit vielen Jahren Abteilungsleiter in der Firma – engagiert, erfahren und bei der Geschäftsführung geschätzt.
Doch nun steht er vor einer der größten Herausforderungen seiner Laufbahn. Als seine langjährige Kollegin Lucie,
mit der er über Jahre hinweg eng zusammengearbeitet hat, überraschend die Abteilung wechselt, trifft ihn das wie
ein Schlag. Für Ben fühlt sich ihr Weggang wie ein persönlicher Affront an – als wäre sie ihm in den Rücken gefallen. Ohne eine klare Erklärung oder ein vorheriges Gespräch empfindet er ihren Wechsel als Verrat.
Diese emotionale Reaktion wirft Ben aus der Bahn. Plötzlich beginnt er, nicht nur Lucies Entscheidung infrage zu stellen, sondern auch seine eigene Rolle als Führungskraft. Hat er als Vorgesetzter versagt? War sein Führungsstil möglicherweise mitverantwortlich für ihre Entscheidung? Gedanken, die ihn bislang nie wirklich beschäftigt haben, drängen sich auf – und mit ihnen kommen Zweifel, Unsicherheit und eine innere Unruhe, die sich auch auf sein Team überträgt.
In der Abteilung macht sich die angespannte Stimmung rasch bemerkbar. Bens Verhalten wird unruhiger, impulsiver. Er kommuniziert weniger, trifft Entscheidungen im Alleingang und zeigt wenig Verständnis für Kritik oder neue Vorschläge. Kolleg:innen, die früher offen mit ihm diskutierten, ziehen sich zurück. Erste kritische Stimmen werden laut – über mangelnde Transparenz, fehlendes Teamgefühl und einen zunehmend autoritären Führungsstil. Was Ben als Versuch empfindet, die Kontrolle zu behalten, wirkt auf andere wie eine Reaktion aus Angst und Überforderung.
Lucie, inzwischen in ihrer neuen Abteilung angekommen, bleibt die Entwicklung in ihrem ehemaligen Team nicht verborgen. Sie spürt die Spannungen und erkennt, dass ihr Weggang größere Auswirkungen hatte, als sie geahnt hatte. Obwohl ihr Wechsel keinesfalls gegen Ben gerichtet war, versteht sie, wie sehr ihn ihre Entscheidung getroffen hat. Schließlich kennt sie ihn gut genug, um zu wissen, dass er Veränderungen als potenzielle Bedrohung wahrnimmt – nicht, weil er anderen nichts gönnt, sondern weil sie ihm Sicherheit nehmen.
Sie beschließt, das Gespräch mit Ben zu suchen – offen, ehrlich und ohne Vorwürfe. In einem ruhigen Moment lädt sie ihn zum Kaffee ein. Es ist ein vorsichtiges Gespräch, geprägt von Zurückhaltung auf beiden Seiten. Doch Lucie gelingt es, Ben zu vermitteln, dass ihre Entscheidung einzig und allein aus dem Wunsch nach persönlicher und beruflicher Weiterentwicklung entstand. Sie hatte das Gefühl, in ihrer bisherigen Position an Grenzen zu stoßen, und suchte nach neuen Herausforderungen – nicht, weil sie Ben entkommen wollte, sondern weil sie wachsen wollte.
Ben hört zu. Zunächst schweigend, dann nachdenklich. Er beginnt, sein Verhalten der letzten Wochen zu reflektieren – nicht nur gegenüber Lucie, sondern auch gegenüber dem Team. Die vielen kleinen Situationen, in denen er sich rechtfertigte statt zuzuhören, in denen er Anregungen ignorierte oder Konflikte ausschwieg. Zum ersten Mal erkennt er: Vielleicht liegt es nicht an „den anderen“. Vielleicht muss er selbst etwas ändern.
Dieser Moment markiert einen Wendepunkt. Ben fasst den Entschluss, an sich zu arbeiten. Nicht, weil er dazu gezwungen wird, sondern weil er selbst erkennt, dass gute Führung nicht im Festhalten an alten Mustern besteht, sondern in der Bereitschaft zur Weiterentwicklung. Auf Empfehlung von HR meldet er sich für ein Führungskräftetraining an – etwas, das er früher als „unnötig“ oder „nur für Anfänger“ abgetan hätte. Doch diesmal geht er mit offenem Herzen und ehrlichem Interesse in die Workshops.
Im Training lernt Ben, was es heißt, aktiv zuzuhören, klare und wertschätzende Kommunikation zu pflegen und Feedback nicht als Angriff, sondern als Chance zu sehen. Er erkennt seine eigenen Verhaltensmuster – wie sein Bedürfnis nach Kontrolle manchmal Offenheit verhindert, und wie sein Schweigen in stressigen Momenten Unsicherheit im Team schürt. Stück für Stück verändert er sich – nicht grundlegend, aber spürbar.
Auch das Team bleibt nicht unberührt von dieser Entwicklung. Anfangs sind die Reaktionen verhalten. Viele fragen sich, ob es sich nur um eine vorübergehende Phase handelt. Doch mit der Zeit bemerken sie, dass sich wirklich etwas verändert. Ben kommuniziert häufiger, lädt zu Gesprächen ein und fragt aktiv nach Meinungen. Er nimmt sich Zeit für Einzelgespräche, gibt ehrliches Feedback – und nimmt auch selbst welches an. Das Vertrauen, das in den letzten Wochen zu bröckeln begann, wächst langsam wieder.
Lucie bleibt eine wichtige Verbündete in diesem Prozess. Obwohl sie nun in einer anderen Abteilung arbeitet, stehen sie und Ben in regelmäßigem Austausch. Ihre Gespräche sind offener denn je – auf Augenhöhe, respektvoll und reflektiert. Was einst ein Bruch war, entwickelt sich zu einer neuen, reifen Form der Zusammenarbeit. Beide erkennen, wie wichtig Klarheit, Kommunikation und gegenseitige Wertschätzung im Arbeitsalltag sind.
Am Ende steht nicht nur ein versöhnlicher Neuanfang zwischen zwei Kollegen, sondern ein gestärktes Team, das durch eine Krise gewachsen ist. Bens Veränderungsprozess zeigt: Selbstreflexion ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von echter Stärke. Wer bereit ist, sich selbst infrage zu stellen, hat die größte Chance, andere zu führen – nicht mit Macht, sondern mit Vertrauen.
Diese Geschichte von Konflikt, Erkenntnis und Wandel ist kein Einzelfall. Sie erinnert uns daran, dass Führung nicht in Titeln besteht, sondern im täglichen Miteinander. Dass man selbst nach Jahren der Erfahrung noch dazulernen kann – und dass es nie zu spät ist, neue Wege einzuschlagen. Für Ben bedeutete das nicht nur eine neue Perspektive auf seinen Beruf, sondern auch auf sich selbst.