Fünf Wochen steht Benjamin Piwko für die Roten Rosen vor der Kamera. Wie funktioniert die Arbeit mit einem tauben Schauspieler am Filmset? Die LZ hat ihn getroffen und mit seinen Kollegen und dem Regisseur gesprochen.
Lüneburg. „Wenn die Kamera beginnt aufzunehmen, macht jemand für mich eine Handbewegung. Dann weiß ich: Jetzt geht es los“, sagt der taube Schauspieler Benjamin Piwko. Noch sitzt er entspannt auf einem großen Sofa am Rote-Rosen-Filmset im Lüneburger Hafen. Nach dem Interview wird er in die Gastrolle von Mika schlüpfen und mit den Kollegen sieben Szenen an einem Tag drehen.
„Hier geht alles schnell, schnell. Ich liebe es“, lacht Piwko und macht eine Handbewegung, die das Gesagte unterstreicht. Bei anderen Filmproduktionen bekomme man mehr Zeit, doch die Dreharbeiten in Lüneburg seien für ihn ein gutes Training. Insgesamt dreht er fünf Wochen für die Rosen in der Hansestadt.
Besonders schätzt er die Zusammenarbeit mit seinen Serienkollegen Till und Svenja: das Lachen, der Zusammenhalt, die Offenheit der beiden. „Es ist eine Bereicherung, mit Benjamin spielen zu dürfen“, sagt Francesco Oscar Schramm (Till), der gerade zufällig vorbeiläuft. In Windeseile lernte der Jungschauspieler ein wenig Gebärdensprache für die Szenen mit Benjamin. „Wir verstanden uns schon bei der ersten Begegnung gut und lachen viel.“
In Gebärdensprache zu sprechen sei empathischer, man sei sich zugewandt, schaue sich mehr in die Augen, findet Schramm. Er blickt zu Piwko, zieht die Augenbrauen hoch, signalisiert eine Frage und streicht mit Zeigefinger und Daumen darüber. „Das ist mein Name, den er mir gegeben hat. Der richtet sich nämlich nach auffälligen Merkmalen einer Person. Und bei mir sind es wohl meine dunklen Augenbrauen“, erklärt Schramm.
„Benjamin bringt eine Leichtigkeit ans Set, die ansteckend ist“, lobt Lea Marlen Woitack die Zusammenarbeit mit ihrem Kollegen. „Er hat viel Humor und schafft es, dass jede Szene schnell und mühelos lebendig wird. Ich liebe es, mit ihm zu arbeiten.“
Die von Benjamin gelernte Gebärdensprache erinnere die Schauspielerin daran, ihren Körper wieder vermehrt als Instrument zu verstehen. „Schauspiel besteht vor allem aus nonverbaler Kommunikation, die durch unsere Zusammenarbeit viel Raum bekommt.“ Manchmal vergesse die Hauptdarstellerin der kommenden Rosen-Staffel dabei sogar ihren Text in Lautsprache.
Piwko ist im achten Monat durch eine Infektion taub geworden. Er lernte jedoch schon als Kleinkind in einer Privatschule in der Schweiz zu sprechen und Lippen zu lesen. Zudem beherrscht er die Gebärdensprache, die er als seine Muttersprache bezeichnet.
Eine Herausforderung sei das Drehbuch dennoch gewesen, da es von einer hörenden Person geschrieben wurde. „Gebärdensprache ist viel direkter“, sagt der 44-Jährige. Er arbeitete intensiv an der Textvorlage. Für das bessere Verständnis hat er auch die Untertitel für seine Szenen verfasst.
Der Schauspieler Benjamin Piwko ist insgesamt für fünf Wochen am Set der Roten Rosen.
Quelle: Michael Behns
„In einer Szene sollte Benjamin an eine Tür klopfen, was für einen Tauben natürlich wenig Sinn macht“, sagt Regisseur Laurenz Schlüter. Auch er schätzt die Arbeit mit Piwko: „Benjamin hat mich mit seinem Talent und seiner Ausstrahlung begeistert. Er bringt eine Spielfreude ans Set, die inspirierend ist. Es ist faszinierend zu sehen, was er mit seinen Augen ausdrückt.“
Piwko selbst sagt, die Schauspielerei sei wie eine Therapie für ihn: „Ich muss mich immer wieder in eine neue Figur hineindenken. Was fühlt diese Person, und welcher Charakter ist sie? Wie bewegt sie sich?“ Ihm ist es ein Anliegen zu zeigen, dass die beiden Welten – die der Tauben und der Hörenden – zusammenpassen können.
Piwko bekam als erster Tauber eine Hauptrolle im Tatort
Dabei ist der gebürtige Hamburger eigentlich Kampfsportmeister. Größere Bekanntheit erreichte er durch seine Teilnahme an der Tanzshow „Let‘s Dance“ im Jahr 2019. Als Schauspieler hat Piwko schon in vielen Produktionen mitgewirkt – wie dem ZDF-Film „Du sollst hören“ (2022), in dem er einen tauben Vater spielt. In diesem Jahr hatte er bereits Rollen in der Serie „Mordsschwestern“ und dem Film „Keine Scheidung ohne Leiche.“
Zudem war er der erste Taube, der in einem Tatort eine Hauptrolle bekam (2016, „Totenstille“).
Gern gesehen am Set
Auch bei den „Rosen“ ist er der erste taube Schauspieler – doch das scheint in den Studios für alle weniger Problem als Bereicherung zu sein.
Nach dem Interview holt sich Piwko Essen in der Kantine. Er stellt gerade seinen Teller ab, als ihm ein Kollege winkt. Die beiden liegen sich in den Armen und lachen. Dass der Gaststar erst seit wenigen Wochen am Set der Roten Rosen ist, fällt schwer zu glauben.